Historischer Hintergrund

Der Güterbahnhof Moabit wurde Ende des 19. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Umschlagplatz im Berliner Nordwesten. Zwischen 1942 und 1944 nutzten ihn die Nationalsozialisten als größten Deportationsbahnhof Berlins. Über 32.000 Menschen wurden von hier auf grausamste Art und Weise in Personen-, meist aber in Güterwagen(1) verbracht und in die Vernichtungslager verschleppt.

Vom Güterbahnhof zum Deportationsbahnhof

Alle in der Region nach 1838 gebauten Eisenbahnstrecken endeten in Kopfbahnhöfen im Gebiet des heutigen Berlins und waren zunächst nicht miteinander verbunden.(2) Der Bau der Ringbahn behob diesen Mangel. Nach einer Teileröffnung 1871 war sie 1877 komplett fertiggestellt worden.(3) Die rasante Entwicklung der Berliner Industrie führte allerdings bald zu Überlastungen, die ab 1893 einen großangelegten Umbau des Moabiter Bahnhofs erforderten. Dem Güterbahnhof Moabit kam dabei als Schnittstelle der Hamburger Bahn, Lehrter Bahn und der Ringbahn eine große Bedeutung zu, besonders für eine schnelle Mobilmachung im Kriegsfall. Das preußische Militär nahm daher großen Einfluss auf die Umbauplanungen. Auch die später für die Deportationen genutzten Gleise 69, 81 und 82 wurden angelegt, unter anderem der „Bahnsteig für militärische Zwecke“ und die „Militärrampe“. Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde ein erneuter und sehr raumgreifender Umbau des Güterbahnhofs Moabit geplant, aber nie verwirklicht.

Die Putlitzbrücke 1912. Im Vordergrund ist die Quitzowstraße zu sehen, rechts der Brücke der Ringbahnhof, links der Halt Putlitzstraße der Lehrter Bahn. Foto: Hermann Rückwardt

Die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft und die Eigentumsfrage

Die Eigentumsfrage war bereits kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs kompliziert: Um die Infrastruktur der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft vor den Verkaufswünschen der Alliierten(4) zu schützen,(5) verabschiedete der Reichstag 1924 das Reichsbahngesetz, das die Bildung eines gesonderten Reichseisenbahnvermögens vorsah. Die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft sollte lediglich Betriebsrechte und -pflichten besitzen,(6) jedoch nicht über den Grund und Boden verfügen. Hintergrund war die Absicht der Alliierten, die damals noch hochprofitable Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft zur Erwirtschaftung eines Teils der dem Deutschen Reich auferlegten Reparationszahlungen heranzuziehen. Und diese Rechtslage hatte sich auch während der NS-Zeit nicht wesentlich geändert.(7)

Ausschnitt aus Plan A Rep. 080-01, Nr. 81 (Militärbahnhof Moabit / Putlitzstraße, 1918), mit freundlicher Genehmigung des Landesarchivs Berlin

Der Güterbahnhof Moabit in der Systematik der Deportationen 1941—45

Gestapo, Verwaltung und Polizei der Reichshauptstadt koordinierten und organisierten meist ausgehend vom Zentrum Berlins die Verfolgung und Vernichtung von Jüdinnen und Juden. Aufgrund der Innenstadtlage und Bevölkerungsdichte waren die meisten Sammellager ebenfalls auf dem Gebiet des heutigen Bezirks Mitte. Die ersten Deportationen aus Berlin gingen jedoch 1941 vom Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald aus.
Am 20. Januar 1942, auf der sogenannten Wannseekonferenz, wurde die systematische Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden beschlossen. Aufgrund seiner Anbindung an das Schienennetz zu den Vernichtungslagern im Osten, seiner urbanen Lage, aber auch wegen der Nähe zu den Sammellagern im Stadtraum wurde der Güterbahnhof Moabit von den Nationalsozialisten und ihren Helfershelfer*innen als Hauptdeportationsbahnhof gewählt. Vor aller Augen trieben Polizei und SS regelmäßig zahllose Jüdinnen und Juden durch die Straßen Moabits, eines dichtbesiedelten Stadtteils, zu den Deportationsgleisen.(8)
Ein weiterer bedeutender Deportationsbahnhof Berlins war der Anhalter Bahnhof. Aufgrund seiner Anbindung gen Süden wurde dieser für die sogenannten Alterstransporte nach Theresienstadt genutzt.

Blick von der Putlitzbrücke in den 1930er-Jahren. Im Hintergrund, rechts oben, ist Gleis 69 und die dazugehörige Laderampe zu sehen, in der Bildmitte die Ladestraße für die Gleise 81 und 82. Foto: Hans Schimanski. Quelle: Kaiser, Josef (Hrsg.), Eisenbahnfotografien 1926-1940 von Hans Schimanski, Ludwigshafen am Rhein 2016, S. 117 unten

Der Güterbahnhof nach dem Zweiten Weltkrieg

Die schwierige Eigentumsfrage vor dem Zweiten Weltkrieg wurde mit der Teilung Berlins durch die Alliierten noch einmal komplizierter: Das Londoner Protokoll vom 12. September 1944 sah die Aufteilung des Deutschen Reichs in vier Besatzungszonen vor. Groß-Berlin sollte entsprechend in vier von den Alliierten gemeinsam verwaltete Sektoren aufgeteilt werden.(9) Auch das Reichseisenbahnvermögen in Groß-Berlin wurde durch die Alliierten verwaltet, die diese Aufgabe an eine West-Berliner Stelle, die „Verwaltung des ehemaligen Reichsbahnvermögens“ (VdeR), delegierten.(10) Aus Zweckmäßigkeitsgründen sollte die Deutsche Reichsbahn, die für die sowjetische Zone außerhalb von Berlin zuständig war, auch den Eisenbahnverkehr in Groß-Berlin betreiben.(11) Entgegen der regelmäßigen Verlautbarungen der DDR-Führung gehörte das Bahngelände nie zum „Territorium der DDR“.

Das Gedenken an die Opfer der Shoah an den Deportationsbahnhöfen

Schon in den ersten Nachkriegsjahren führten Opferverbände einzelne Gedenkveranstaltungen durch und ließen 1953 eine erste Gedenktafel am Bahnhof Grunewald anbringen.(12) Warum der Bahnhof Moabit zunächst außen vor blieb, ist bis heute schwer nachvollziehbar. Die Mahnmale an der Stelle der als Sammellager missbrauchten Synagoge in der Levetzowstraße und auf der Putlitzbrücke entstanden erst durch die Zunahme erinnerungskultureller Bestrebungen sowie deren öffentlicher Förderung in den 1980er-Jahren.(13) Verschiedenste Initiativen hatten eine solche gefordert.(14)

Einweihung des Mahnmals auf der Putlitzbrücke 1987. V. l. n. r.: Dieter Ernst, Bezirksbürgermeister (am Bildrand); Heinz Galinski, Jüdische Gemeinde zu Berlin; Volker Hassemer, Senator; Patrick Brooking, Britischer Stadtkommandant; weitere unbekannte Personen. Foto: Andreas Szagun

Auch auf dem Güterbahnhof Moabit hätte ein Mahnmal errichtet werden können, hatte doch der Senat von Berlin für den Bau des Stadtautobahnrings immer wieder großzügig auf Eisenbahnflächen zurückgegriffen.(15) Sicherlich war auch das deutsche Nachkriegsnarrativ, dass der Holocaust ein quasi unsichtbarer, geheim geführter Prozess war, von entscheidender Bedeutung dafür, dass dort kein Ort der Erinnerung entstand.

Die Situation nach 1989

Mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 und der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 stand Berlin vor großen Veränderungen. Damit gingen auch Planungen für die Modernisierung und Neuorganisation des Berliner Eisenbahnnetzes einher, denn die Deutsche Reichsbahn der DDR hatte nur das Allernötigste zum Erhalt der Substanz getan. Als 1994 aus der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn die privatwirtschaftlich organisierte Deutsche Bahn AG gegründet wurde, übertrug man ihr das Grundstücksvermögen zurück. Mittlerweile als überflüssig angesehene Bahnflächen sollten gewinnbringend verkauft werden. Dies betraf auch Flächen des Güterbahnhofs Moabit.

Pförtnergebäude an der Waldstraße im November 1991. Foto: Andreas Szagun

Erste Pläne für einen Gedenkort

Daraus ergaben sich Interessenkonflikte mit dem damaligen Bezirksamt Tiergarten von Berlin. Der Gefahr von Immobilienspekulationen und dem Verlust wohnortnaher Arbeitsplätze wollte man Mitte der 1990er-Jahre mit der Aufstellung von entsprechenden Bebauungsplänen(16) und einem Integrierten Standortmanagement entgegentreten.(17) Der damalige Baustadtrat forderte auch die Schaffung eines Gedenkortes an der historischen Stelle der Deportationen. Ein kleines Stück wurde aus den zur Verwertung vorgesehenen Flächen herausgelöst, konnte aber erst 2015 in das Eigentum des Landes Berlin übergehen.(18) Erste Bemühungen des Bezirksamts, das Gelände unter Denkmalschutz zu stellen und einen künstlerischen Wettbewerb auszuloben, liefen jedoch ins Leere.

Die Entwicklung seit 2006

Der größte Erfolg des am 30. Januar 2006 gebildeten Runden Tischs unter der Leitung der Stiftung Topografie des Terrors war jedoch die Anregung zu einem wissenschaftlichen Gutachten über die historische Nutzung des Bahnhofs.(19) Es wies nach, dass der Güterbahnhof Moabit der am meisten genutzte Bahnhof Berlins für die Deportationen war. Die bauliche Einfassung eines zukünftigen Gedenkortes war zu diesem Zeitpunkt bereits vom Bezirksamt Mitte und den privaten Investoren festgelegt worden.

  • (1) Der oft genutzte Begriff „Viehwaggon“ ist irreführend, denn ausweislich etlicher Fotos wurden normale Güterwagen verwendet. Dies hatte für die Deutsche Reichsbahn den betrieblichen Vorteil, dass die Güterwagen nach den Deportationen für andere Zwecke genutzt werden konnten, während sowohl Personen- als auch (echte) Viehwagen als Leerzüge hätten zurückgefahren werden müssen. Bei echten Viehwagen waren zwecks besserer Belüftung die Latten der Wagenkästen auf Abstand zueinander verschraubt gewesen, sie wiesen zudem einen Zwischenboden auf.
    (2) Klee, Wolfgang: Preußische Eisenbahngeschichte, Stuttgart 1982, S. 121. Deshalb entstand auch schon 1852 der „Verbinder“, eine wie eine Straßenbahn geführte Verbindungsbahn nur für den Güterverkehr. Sowohl Fahrgäste als auch Güter mussten mit Kutschen und Fuhrwerken zu anderen Bahnhöfen gefahren werden.
    (3) Vgl. die Karten zur Netzentwicklung des Berliner Eisenbahnwesens im 19. Jahrhundert in: Königlich Preußischer Minister der öffentlichen Arbeiten (Hrsg.): Berlin und seine Eisenbahnen, erster Band, Berlin 1896 / Nachdruck 1982, Tafel 7, S. 112/113 bzw. Tafel 8, S. 136/137.
    (4) Dawes, Ch.; McKenna, R.: Die Sachverständigengutachten. Der Dawes- und McKenna-Bericht mit Anlagen, Frankfurt a. M. 1924, Anhang 4, S. 131.
    (5) Sarter, Adolph: Die Deutschen Eisenbahnen im Kriege, Stuttgart 1930, S. 131 bzw. S. 242 ff.
    (6) Reichsbahngesetz vom 30. August 1924, Reichsgesetzblatt 1924-II, S. 272 f.
    (7) Reichsbahngesetz vom 4. Juli 1939, Reichsgesetzblatt 1939-II, S. 1205.
    (8) Zitat Herta Pineas, Helferin der Jüdischen Gemeinde: „Die Umwohner des Bahnhofs Putlitzstraße beobachteten in Massen von der Brücke aus, wie diese Transporte zur Bahn kamen und vom ungedeckten Bahnsteig aus abgingen. Wenn wir nach Abfahrt des Zuges zurückkamen, standen diese Zuschauer noch immer da – sollten sie nichts von den Dingen gewußt haben? Und wenn ich bereits im Sommer 1942 gewußt habe, daß aus Juden Seife gemacht wird, sollen es die uns umgebenden „Arier“ nicht gewußt haben? Nicht alle, aber die Mehrzahl muß von den Greueln gewußt haben. Ich selbst sah doch von meiner Wohnung in der Levetzowstraße aus, die nicht weit von dem Synagogen-Sammellager lag, die Wohnungsinhaber und Ladenbesitzer vor die Tür treten und ausführlich das Einladen der Juden in die Möbelwagen beobachten.“ Zitiert nach: Ehmann, Annegret, et al., Die Grunewaldrampe, Die Deportation der Berliner Juden, Hrsg.: Landesbildstelle Berlin, 2. Aufl., Berlin 1993, S. 98.
    (9) PROTOCOL between the Governments of the United States of America, the United Kingdom, and the Union of Soviet Socialist Republics, on the zones of occupation in Germany and the administration of ‘‘Greater Berlin”, in: Foreign Relations of the United States Diplomatic Papers The Conferences at Malta and Yalta 1945, United States Government Printing Office, Washington 1955, S. 119. Deutsche Übersetzung in Senat von Berlin: Berlin. Quellen und Dokumente 1945–1951, Berlin 1964, S. 38.
    (10) Krause, S.; Kuhlmann, B.; Naumann, H.; Prestin, H.: Eisenbahndirektion Berlin 1838-1993, Berlin 2020, S.139 ff.
    (11) Schreiben des Magistrats an die Alliierte Kommandantur mit der Bitte um Klärung der Rechtsverhältnisse auf den Eisenbahnanlagen vom 17. Oktober 1949, zitiert nach: Senat von Berlin: Berlin. Quellen und Dokumente 1945–1951, Berlin 1964, S. 1778 f.
    (12) Endlich, Stefanie: Wege zur Erinnerung. Gedenkstätten und -orte für die Opfer des Nationalsozialismus in Berlin und Brandenburg, Berlin 2006, S. 54.
    (13) Ebda, S. 240.
    (14) So zum Beispiel: Jungsozialisten in der SPD (Jusos), Kreis Tiergarten: Zeitschrift Roter Bock, Sondernummer zur Rundfahrt durch Tiergarten, o. J. (Anfang achtziger Jahre; Hoffmann, Oliver: Deutsche Geschichte im Bezirk Tiergarten. Naziterror und Widerstand 1933–1945, Berlin 1986, - GEW Berlin (Hrsg.) / Arbeitsgruppe Friedenspädagogik der GEW Tiergarten: Im Schatten der goldenen Flügel, Berlin 1984, Roskamp, Heiko, Verfolgung und Widerstand, Tiergarten – Ein Bezirk im Spannungsfeld der Geschichte 1933–1945, Berlin, o. Jahr.
    (15) Vergl. Bezirksamt Charlottenburg von Berlin: Begründungen zu den Bebauungsplänen VII- 101, VII-102, VII-103 und VII-104 für den Bau eines Teils des Stadtautobahnringes vom Bereich einschließlich Autobahndreieck Funkturm bis zur Rudolf-Wissell-Brücke, Berlin 1961-1963.
    (16) Die Entwürfe für die Bebauungspläne II-183 bis 189 wurden vom 8. Juni bis zum 8. Juli 1998 öffentlich ausgelegt, die Erörterungsveranstaltung fand am 23. Juni in der (damaligen) Moses-Mendelssohn-Schule in der Stephanstraße statt.
    (17) In der Begründung für den erneut aufgestellten Bebauungsplan II-184 heißt es dazu: „Mit dem Integrierten Standortmanagement sollte am Beispiel innerstädtischer Industrie- und Gewerbegebiete in Moabit gezeigt werden, wie verschiedene Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung zusammenarbeiten und wirtschaftliche Kooperationsbeziehungen gründen. Einen Schwerpunkt des Projektes bildete die Neustrukturierung des sog. Block 9 (Quitzowstraße 1–91, Siemensstraße 21–26 B). Hier hatte das Integrierte Standortmanagement die Aufgabe, ansässige Betriebe bei der Standortsicherung und Umstrukturierung zu beraten und zu unterstützen. Durch die in der Vergangenheit beabsichtigte Umstrukturierung der Flächen durch die Bahn bestand die Gefahr, dass den ansässigen Betrieben mit ihren rund 420 Arbeitsplätzen (Stand 1999) gekündigt worden und die Arbeitsplätze verloren gegangen wären. Durch das Standortmanagement ist es gelungen, aus etlichen zahlreichen Pächtern Eigentümer zu machen.“ Bezirksamt Mitte von Berlin Abteilung Stadtentwicklung, Soziales und Gesundheit Stadtentwicklungsamt Fachbereich Stadtplanung: Begründung - § 3 Abs. 1 BauGB - zum Bebauungsplan II-184, Stand 01.10.2020, Berlin 2021, S. 19.
    (18) Bezirksamt Mitte von Berlin, Vorlage zur Kenntnisnahme: Schlußbericht zu den Drucksachen 1591/III und 1090/IV, von der der Bezirksverordnetenversammlung Mitte am 19.03.2015 zur Kenntnis genommen.
    (19) Schulle, Diana; Dettmer, Dr. Klaus; Gottwaldt, Alfred: Forschungsgutachten zur Geschichte des Güterbahnhofs Berlin-Moabit unter schwerpunktmäßiger Berücksichtigung der Geschichte der Deportation der Berliner Juden von den Gleisen 69, 81 und 82, Berlin 2006.